Dauerärgernis Opernregie

Moderne Inszenierung – was soll das sein?

Allenthalben ist nach jeder Opernaufführung zu hören: „Die Inszenierung hat mir nicht gefallen, viel zu modern“ oder gegenteilig: „Die Inszenierung ist langweilig, weil zu altbacken“ und ähnliches. Die beiden Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Beide werfen sich vor, die Kunstform Oper dauerhaft zu ruinieren, einerseits durch Konservierung, andererseits durch Entstellung der Werke. Dabei geht es aber gar nicht um modern oder traditionell, auch nicht um werktreu oder nicht. Diese Begriffe sind nur irreführend, denn das Problem liegt ganz wo anders.

Modern vs. Traditionell

Als eine traditionelle Inszenierung wird gemeinhin eine solche verstanden, die dem entspricht, was vor der Revolution durch Wieland Wagners Stil des „neuen Bayreuths“ mit Abkehr vom Naturalismus Standard war: Kostüme und Requisiten getreu der Zeit, in der die Oper spielt; das Geschehen auf der Bühne entspricht möglichst naturgetreu der Handlung. Modern soll dagegen alles sein, was davon abweicht: Abstraktion, Adaption in andere Zeit oder Ort, sowie Abweichungen des Bühnengeschehens von der Handlung des Werks.

Der Begriff der Modernität ist schon deswegen falsch, weil derartiges in der Oper seit über 50 Jahren Gang und Gäbe ist und zwar dauerhaft. Insbesondere trägt die Einteilung modern/traditionell aber zur Polarisierung der Zuschauerschaft in unversöhnliche Modernisten und Traditionalisten bei und führt vom eigentlichen Problem vieler heutiger Operninszenierungen weg. Diese beiden Begriffe sollten deswegen in dieser Diskussion endgültig begraben werden.

Werktreue

Viele behelfen sich mit dem Begriff der werkgetreuen Inszenierung. Auch das hilft nicht viel. Das Werk schreibt allermeist zur Regie nicht viel vor. Das Libretto gibt nur die Handlung an, regelmäßig aber nicht, wie zum Beispiel Requisiten und Kostüme auszusehen haben. Sofern es eine „Regie“ der Uraufführung durch den Autor gab, sollte man diese nicht als verbindlichen Teil des Werkes sehen, denn auch diese war Spiegel ihrer Zeit und deren Geschmacks. Ansonsten wäre das Werk wirklich von Kurzlebigkeit bedroht. Und auch Abstraktionen können werktreu sein, mitunter die Werkhandlung noch klarer machen. Wird die Handlung in eine andere Zeit versetzt, ist diese unter Umständen durchaus noch dem Werk getreu, sofern man diesem Begriff anhängt.

Das Regietheater

Jede Inszenierung hat eine Regie. Auch ohne einen expliziten Regisseur, was früher in der Oper der Normalfall war. Dann sind alle Mitwirkenden die Regie. Das Schlagwort Regietheater, welches durch die Theaterkritiker der 70er Jahre geprägt wurde, ist problematisch auch noch in vielerlei anderer Hinsicht, was hier aber zu weit führen würde. Gemeint ist jedenfalls, dass die Ideen des Regisseurs einen so großen Einfluss auf das Werk des Autors haben, dass von dem eigentlichen Stück nicht genug übrig bleibt oder es zumindest stark verfremdet ist.

Aber ist das denn per se wirklich problematisch? Im Sprechtheater ist diese Praxis allgegenwärtig. Stücke werden vom Regisseur interpretiert, adaptiert und umgeschrieben. Der Regisseur wird zum Autor eines neuen Werkes, basierend auf einem anderen. Konsequent wird das „neue“ Stück zwar nicht mit einem neuen Titel versehen, aber meist mit dem Zusatz „nach“. Es wird somit das Stück des Regisseurs „nach“ William Shakespeare. Man kann alle Kritik daran und die Frage, warum macht man es überhaupt so, für hiesigen Zweck getrost weg lassen. Ohne Zweifel wird dadurch etwas Neues, Künstlerisches geschaffen, ohne hier irgendeine Bewertung dessen vornehmen zu wollen. Der (vorgebildete) Zuschauer weiß, was ihn erwartet und bewertet das neue Stück, und nicht, ob das alte in der neuen Regie gut oder schlecht funktioniert. Tüchtige Regisseure machen sich im Sprechtheater einen Namen auch als Autoren und gewinnen so ihre eigene Anhängerschaft.

Also kein Problem und auf das Musiktheater gut zu übertragen? Mitnichten.

Warum Regietheater in der Oper so nicht funktioniert

Regisseure des Sprechtheaters nehmen das Werk als Basis, interpretieren es und vor allem: schreiben es um. Das neu geschriebene Werk entspricht dadurch den Ideen des Regisseurs und, da personengleich, des Autors. In der Oper geschieht genau das nicht. Der Regisseur darf alles ändern, nur nicht die Musik und in den allermeisten Fällen nicht den Text, das Libretto. Das Ergebnis ist eine Bühnenhandlung und -ausstattung nach den Ideen des Regisseurs und ein Werk nach denen eines anderen Autors. Eine mehr oder wenig andauernde Abweichung, die im besten Fall unfreiwillig komisch, meistens aber unstimmig und deswegen oft schlecht ausfällt. Solange der Regisseur den Text und gegebenenfalls die Musik der Oper nicht ändert, oder besser ändern darf, ist dies unvermeidlich. Die Abweichung ist oft auch eklatant, spielen die meisten Opern in der Romantik des 19. Jahrhunderts oder in der für uns ohnehin schwer zu fassenden Gesinnung des Barock; die Ideen der Regisseure bringen dagegen meist Themen aus der heutigen, in vielem unvergleichlichen Welt. Dass viele mit dem Ergebnis dieses Dilemmas auf der Bühne nicht zufrieden sind, erscheint einleuchtend.

Also bleibt nur, die Regisseure wieder aus der Oper zu verbannen? Ich halte das für nicht realistisch. Zu viele hinlänglich bekannte Argumente sprechen dagegen und zu viele Entwicklungen hierzu sind schon erfolgt. Wir müssen aber dafür Sorge tragen, die Abweichung des Bühnengeschehens vom dargebotenem Werk zu vermeiden und damit Darbietungen stimmiger und letztlich besser zu machen. Wer also das sogenannte Regietheater in der Oper möchte, muss konsequenter Weise zulassen, dass der Regisseur Libretto und gegebenenfalls auch Musik ändern darf. Damit hat dieser auch die Möglichkeit zu zeigen, was er wirklich kann. Zukünftige Regisseure hätten dann, mangels Universalgenies im Heute, neben den jetzt schon bemühten Lichttechnikern, Bühnen- und Kostümbildnern auch Librettisten und Komponisten im Team. Vielleicht ist das ein Anstoß für eine Renaissance in der Komposition guter Musik, auch außerhalb der Filmmusik. Eine derart konsequente Einführung der „Regieoper“ würde sicherlich noch stärker zu alternativen Opernproduktionen führen, die sich gegen den Einfluss der Regisseure stellen. Damit wäre letztlich auch den Gegnern der „Regieoper“ gedient. Ich meine, dass selbst die eingefleischtesten „Traditionalisten“ lieber eine klare Unterscheidung zwischen Oper und Regieoper hätten, als weitere 50 Jahre unstimmigen Mischmasch.

Diese Aufführungen würden dann auch korrekt betitelt nach dem Usus des Sprechtheaters, beispielsweise: „Tannhäuser oder die Erlösung aus der Biogasanlage“, von Sebastian B., nach Richard Wagner. Zumindest brächte dies den Vorteil, dass der Zuschauer vorher weiß, wofür er bezahlen soll und ob er sich das ansieht.

Also: “Auf Kinder, schafft wirklich Neues!” – oder eben nicht.

von Hannes F. Hofer, München